Die Corona-Pandemie hat die Welt hart getroffen. Bei vielen meiner Kunden habe ich in kurzer Zeit viele Anpassungen miterleben dürfen, sodass die Informatiker komplett von zu Hause arbeiten. Über meinen Cousin habe ich mitbekommen, dass der Unterricht bei Weitem nicht so reibungsfrei umgestellt werden konnte.
Was ist eine Online-Schule?
Unter einer Online-Schule stelle ich mir eine Lehr- und Lernplattform vor. Diese kann unterschiedlichste Inhalte, Modi und Medien nutzen. Sie kann verschiedene Komponenten kombinieren um den Lerneffekt zu verbessern. Sie kann Lehrenden Werkzeuge bereitstellen um mit den Schülern zu kommunizieren und bei pädagogischen, technischen und rechtlichen Fragen unterstützen. Eine Plattform wird von zentraler Stelle bereitgestellt und gewartet, die Inhalte werden dezentral produziert.
Formen des Unterrichts
In diesem Artikel geht es um Online-Kurse. Es gibt auch noch andere Konzepte. Alle haben Vor- und Nachteile. Es gibt keinen Grund sich exklusiv für ein Konzept zu entscheiden. Wir haben gute Angebote für synchronen Präsenzunterricht, jedoch kaum Angebote für die anderen Formen des Unterrichts:
Präsenzunterricht (Vor Ort) | Distanzunterricht (Räumlich Getrennt) | |
---|---|---|
Synchron | Klassischer Schulunterricht; Klassische Nachhilfe | Video-Konferenz |
Asynchron | Museen | Online-Kurse |
Die Vorteile von asynchronen Online-Kursen im Vergleich zu klassischem Schulunterricht sind im Abschnitt Warum benötigen wir eine Online-Schule? verlinkt.
Der klassische Schulunterricht hat auch Vorteile. Man sollte ihn nicht durch Online-Kurse ersetzten, sondern beide Unterrichtsformen parallel anbieten. Aktuell könnte er tatsächlich den Unterricht ersetzen, auf lange Sicht bieten Online-Kurse eine sinnvolle Ergänzung des klassischen Präsenzunterrichts.
Inhalte
Es könnten die typischen MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Physik, Chemie, Biologie), geisteswissenschaftliche Fäche (Geschichte, Kunst, Religion, Literatur) und Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch) vermittelt werden.
Allerdings gibt es keinen Grund hier eine harte Linie zu ziehen. Wenn man eine funktionierende Plattform hat, dann kann man auch die Inhalte von Ausbildungsberufen oder Studienfächern auf so eine Plattform bringen. Genauso berufliche Weiterbildung.
Modi
Der Präsenzunterricht ist synchron. Genauso könnte man live über einen Video-Stream online unterrichten.
Ein anderer Modus ist asynchron: Wenn Materialien vom Lehrenden vorbereitet werden und vom Schüler jederzeit abgerufen werden können.
Medien
- Textbuch: Schriftliche Wissensvermittlung
- Arbeitsbuch: Aufgaben zum praktischen Anwenden von Wissen
- Podcasts: Können z.B. auch während dem Pendeln, von Blinden Personen, oder während der Hausarbeit konsumiert werden.
- Video-Clips: Kurze Lerneinheiten / Arbeitsaufträge
- Video-Vorlesungen: Lange Lerneinheiten; wird von Universitäten eingesetzt (z.B. ocw.mit.edu, KIT Webcasts)
- Video-Stream: Wird häufig von Universitäten und auf Konferenzen eingesetzt
- Chats: Schriftliche Echtzeitkommunikation, z.B. chat.stackexchange.com
- Foren: Schriftliche asynchrone Kommunikation, z.B. chemiestudent.de oder ell.stackexchange.com
- 1-on-1 Video-Call: Einzelunterricht
- Gruppen Video-Call: Eine Klasse, nur online.
Komponenten
- Wissensvermittlung
- Fragen klären / diskutieren
- Wissensüberprüfung
Werkzeuge
- Chat-Systeme, z.B. Mattermost
- Kollaborativer Editor, z.B. Etherpad
- Umfrage- und Befragungssysteme, z.B. lime-survey
- Feedback-Mechanismen für den Remote Live-Unterricht.
- Die Möglichkeit Lerneinheiten zu erstellen.
- Die Möglichkeit Lerneinheiten zu Unterrichtseinheiten zusammenzufassen.
- Die Möglichkeit Unterrichtseinheiten zu Klassen/Kursen zusammenzufassen.
- Die Möglichkeit Klassen/Kurse zu einem Lehrplan zusammenzufassen.
- Die Möglichkeit für die Schüler, erlangtes Wissen zu speichern.
- ...
Warum benötigen wir eine Online-Schule?
Soziale Mobilität ist für mich hier der Hauptpunkt. Ein höherer Bildungsabschluss bedeutet typischerweise ein höheres Gehalt. Das Leben verläuft nicht nach Plan. Persönliche Schicksalsschläge, ein Migrationshintergrund oder schlicht und ergreifend Nicht-Akademiker als Eltern können dazu führen, dass Menschen nicht die schulische Bildung erhalten, die sie gerne hätten.
Bildung ist ein Menschenrecht. Ich unterstelle mal, dass mehr Bildung zu mehr Innovation, zu neuen Erfindungen und Geschäftsideen führt. Bildung qualifiziert Menschen für kompliziertere Jobs. Bildung führt zu persönlicher Erfüllung, Wirtschaftswachstum und eventuell zu einem gesünderem Leben. Ich kann mir vorstellen, dass Bildung zu mehr politischer Partizipation führt.
Seit März 2020 ist klar, dass es noch andere gute Gründe für eine Online-Schule gibt. Ganz vorne mit dabei sind Unterrichtsausfälle. Aktuell durch Corona, aber auch sonst gibt es Hitze- und Schneefrei. Ich hatte auch mal Sturmfrei. Lehrer sind krank und es gibt nicht immer (passenden) Ersatz. Dann ist eine Unterrichtseinheit verloren und der Ersatzlehrer nur eine Aufsichtsperson.
Weitere Gründe für Online-Schulen sind:
- Mindestmaß an Qualität: Jeder Schüler hat bei schlechten Lehrern die Möglichkeit den Stoff online durchzugehen.
- Qualitätsicherung: Schulstoff ändert sich zwar selten, aber es kommt vor. Wenn die Inhalte von Millionen Schülern und tausenden Lehrern sowie Eltern konsumiert werden, dann fallen Fehler auf und können korrigiert werden. Schüler können ihren Unterricht mit dem Online-Angebot vergleichen und somit fundiert auf Missstände hinweisen.
- Vergleichbarkeit: Frei verfügbare Inhalte können von Berlin bis Bayern von Schülern genutzt werden. Die Abschlüsse mögen nicht auf die gleiche Art zustande kommen, aber die Schüler können sich selbst ein Bild über die Unterschiede machen.
- Geschwindigkeit: Schüler lernen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Ich habe mir mit der Informatik immer sehr leicht getan und die Inhalte verschlungen. Im Französischunterricht sah das anders aus. Wenn die Inhalte online sind können die Schüler Stoff wiederholen, den sie nicht richtig verstanden haben. Sie können bei Interesse auch weiter gehen als es der Unterricht aktuell vorsieht.
- Schulwechsel: Mit einer Online-Schule können sich Realschüler die aufs Gymnasium wechseln wollen die fehlenden Inhalte anschauen. Bei einem Umzug könnte man im besten Fall einfach die neue Klasse online auswählen und würde sofort sehen, wo man etwas nachholen muss und wo man der Klasse voraus ist. Das lernen wird auch hier individualisiert.
- Krankheit: Auch ohne COVID-19 können Schüler länger krank sein und Unterricht verpassen. Mit einer Online-Schule könnten Lehrer einfach auf die verpassten Einheiten verweisen.
- Lehrer-Entlastung: Es ist nicht nötig, das jeder Lehrer alles von anfang an neu vorbereitet. Eine Anpassung an den Stil des Lehrers sollte natürlich immer Möglich sein, aber es ist meist doch wesentlich einfacher
Wie bekommen wir eine Online-Schule?
Ich habe nun sehr viel über die Plattform geredet. Die Plattform ist aber schon der zweite Schritt. Der erste Schritt sind die Inhalte. Diese kann man jetzt schon über sehr einfache Mittel bereitstellen. Lehrende können alle Materialien auf Wikipedia Commons bereitstellen. Videos können auf YouTube jetzt schon leicht zugänglich gemacht werden.
Konkret sehe ich folgende Möglichkeiten um freie Lehrmaterialien (insbesondere Video-Clips) zu erhalten:
- Preisausschreibungen
- Bezahlte Seminar- und Abschlussarbeiten
- Lehrstellen
- Öffentlich-Rechtliche Zusammenarbeit
Ein wesentlicher Aspekt bei allen Maßnahmen ist die Lizenz der Inhalte. Die Inhalte müssen unter eine freie Lizenz, z.B. CC-0 oder CC-BY gestellt werden um im Zuge der folgenden Maßnahmen erstellt werden zu können. Mit freien Inhalten können Schüler und andere Lehrende die Inhalte neu zusammenstellen und auf andere Art verbreiten. Beispielsweise könnte man so die Inhalte nutzen um eine neue Plattform zu erstellen.
Preisauschreibung
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die Kultusministerien der Länder könnten jährliche Wettbewerbe ausschreiben.
Lehrer und Lehramtsstudierende könnten an diesem jährlichen Wettbewerb teilnehmen. Es gibt verschiedene Kategorien (die Kernfächer) und in jeder Kategorie gewinnberechtigte Inhalte. Zu Beginn dieses Preises ist jeder gewinnberechtigte Inhalt eine Lektion / ein Element aus dem Lehrplan. Sobald ein Lehrer mit einer Lektion gewonnen hat und daher für diesen Teil des Lehrplanes eine qualitativ hochwertige Lektion online verfügbar ist, ist diese in Zukunft nicht mehr gewinnberechtigt. Mit der Zeit sollten wir auf diese Weise den gesamten Lehrplan abdecken.
Abschlussarbeiten
Die Aussicht auf Bezahlung der Abschlussarbeit ist attraktiv. Die Kultusministerien könnten hier eine weitere Möglichkeit schaffen um modern aufbereitete Inhalte bereitzustellen. Auch hier sollte eine Voraussetzung die freie Lizenz der erstellten Inhalte sein.
Lehrstellen
Ich schreibe privat einige Artikel und erreiche damit Hunderttausende. Ich beantworte in meiner Freizeit Programmierfragen und habe damit weltweit 37 Millionen Menschen geholfen. Für viele Spitzen-Informatiker ist dies eine bereichernde Erfahrung, die sich manchmal auch im Berufsleben positiv bemerkbar macht.
Deutsche Lehrer haben aktuell keine Plattform, über welche sie auch nur annähernd in dieselbe Größenordnung kommen. Persönlich hatte ich großes Glück, sehr häufig sehr motivierte und talentierte Lehrer zu haben. Allerdings ist wohl jedem klar, dass nicht jeder Schüler in jedem Fach dieses Glück hat. Auch Lehrer sind Menschen mit Vorlieben für verschiedene Inhalte. Wenn wir motivierten Lehrern die Möglichkeit geben Inhalte für die sie brennen aufzubereiten und potenziell allen Schülern zugänglich zu machen, dann verbessern wir das Bildungsangebot und die Möglichkeit unserer Schüler ungemein.
Das Erstellen guter aufbereiteter Inhalte ist sehr zeitaufwendig. YouTube-Stars machen das inzwischen als Vollzeit-Job. Ich wünsche mir, dass wir ausgewählten und motivierten Lehrern in einer Art "Online-Schule" die Möglichkeit geben, solche Inhalte in Vollzeit zu erstellen. Auch hier ist die freie Lizenz wieder ein Schlüsselelement. Die Steuerzahler sollen die Lehrer der Online-Schule dafür bezahlen, also sollen sie auch die Inhalte frei nutzen können.
In Bayern gibt es 430 Gymnasien. NRW hat 177.378 Lehrer; Deutschlandweit kommen wir auf über 782.000 Lehrer. Würden wir uns zu Beginn auf die 5 Fächer Mathematik, Informatik, Englisch, Geschichte, Wirtschaft- und Rechtslehre begrenzen und für die acht Klassenstufen (5 - 12) in Kombination jeweils 4 Lehrer ansetzen, dann würden wir 160 Lehrer benötigen und könnten trotzdem realistisch davon ausgehen nach einem Jahr die Inhalte als Clips online zu haben. 160 Lehrer entspricht 0.02% aller Lehrer, aber alle Schüler Deutschlands würden profitieren. Lehre würde vergleichbarer sein.
Öffentlich-Rechtliche Zusammenarbeit
Es gibt zahlreiche sehr gute Sendungen mit Lehrinhalten:
- Die Sendung mit der Maus
- Quarks und Co
- Mailab
- Geschichstssendungen, z.B. Die Deutschen oder verschiedenes zum Ersten Weltkrieg
Wieso gibt es das nicht auch gezielt für Schulinhalte?
Wie sehen gute Online-Inhalte aus?
Videos
- Länge: Optimalerweise sind Videos kurz. Es kann durchaus kürzer als eine Minute sein und sollte selten länger als 10 Minuten sein. Sie behandeln genau einen Aspekt. Das macht es leicht den Teil zu wiederholen, wenn man ihn nicht verstanden hat.
- Inhalt: Die Videos haben keine Einleitung, sondern starten direkt. Das bedeutet, dass man Inhalte auch anders zusammenstellen kann. Eventuell benötigt man für eine Unterrichtseinheit dann ein kurzes einleitendes Video, das Kontext bereitstellt.
- Auf eine Lerneinheit folgt eine Selbstkontrolle. Das kann z.B. eine Multiple-Choice Frage sein. Oder eine Aufgabe, die gelöst werden muss. Etwas, dass es dem Schüler erlaubt zu sehen, ob ein Inhalt verstanden wurde.
Podcasts
- Inhaltliche Aspekte: Sie benötigen kein Bild.
- Technische Aspekte: Sie können länger sein. Die Lautstärke ist sinnvoll und hat keine zu extremen Schwankungen. Es gibt keine Nebengeräusche.
Arbeitsblätter
Wenn die Blätter zum Drucken gedacht sind, gibt es ein paar Probleme:
- Nicht jeder hat einen Drucker
- Nicht jeder hat einen Farbdrucker
- Nicht jeder hat gerade Farbe / Papier im Drucker
- Nicht jeder hat Word - benutze PDF, falls nichts ausgefüllt werden muss.
Wenn sie zum Online bearbeiten gedacht sind, kann man ggf. auch direkt eine Webseite machen.
Und nun?
Bitte gebt mir Feedback zu den verschiedenen Ideen. Insbesondere Lehrer und
aktuelle Schüler: [email protected]
, in den Kommentaren unten, oder via
Twitter an @_martinthoma
. Als Hash-Tag
schlage ich #SchuleOnlineRocks
vor;
schule-online.rocks verweist hier her.
Wir müssen dieses Anliegen in die Politik tragen. Man kann sofort starten. Motivierte Lehrer können mir gerne Links auf freie Inhalte (Link + Lizenz + Name des Autors) schicken.
Politiker können sich für die verschiedenen vorgeschlagenen Maßnahmen (Lehrstellen in einer Online-Schule, Wettbewerbe zum erstellen von Inhalten, Öffentlich-Rechtliches Engagement, ...) stark machen. Ab einem gewissen Punkt macht es eventuell auch Sinn eine Petition zu starten.
Kurzfristige Pläne
In diesem Artikel habe ich Vorschläge gemacht, die man im Laufe von 2021 umsetzen könnte. Wenn man sofort starten würde und die Lehrstellen schaffen würde, könnte man bis Mitte 2022 für Kernfächer aller Klassenstufen des Gymnasiums Inhalte haben. Im Verhältnis zum Nutzen gesehen wäre der Aufwand gering.
Allerdings hilft das aktuellen Schülern und Lehrern nicht. Für diese könnte man einen recht radikalen Umstieg von synchronem Unterricht auf asynchronen Unterricht machen. Man müsste für die Verschiedenen Schularten, Fächer, und Klassenstufen die Lehrinhalte der nächsten Monate auf alle willigen Lehrer verteilen. So könnte sich z.B. ein Gymnasial-Chemielehrer darauf konzentrieren eine Unterrichtseinheit über den Atombau der Nebengruppen zu erstellen. Die Schüler würden dann potenziell täglich im Chemie-Unterricht einen anderen Lehrer sehen. Die Lehrer könnten ihre Clips unter CC0 / CC-BY Lizenz auf YouTube bereitstellen. Die Kultusministerien würden die Vorbereitung der Unterrichtseinheiten auf die Lehrer verteilen und die Links zu den Videos gesammelt und strukturiert bereitstellen. Durch das Nutzen etablierter Plattformen wie z.B. YouTube für Videos wäre selbst bei einem plötzlichen sehr großem Interesse der Schüler gewährleistet, dass die Inhalte verfügbar bleiben.