Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten beeindruckende Fortschritte bei der Energiewende gemacht. Doch wie steht es aktuell um die Stromversorgung, und wie kann der Weg in eine klimaneutrale Zukunft gelingen?
Ich fokussiere mich in diesem Artikel auf die Stromversorgung in Deutschland. Strom ist nur ein Teil der Energieversorgung. Die anderen Teile sind nicht-elektrifizierte Wärme (Heizöl und Gas) sowie Verkehr (Benzin und Diesel).
Stromverbrauch: Weniger, aber bald wieder mehr
Der Bruttostromverbrauch in Deutschland ist seit seinem Höchststand 2007 kontinuierlich gesunken. 2024 lag er bei rund 512 TWh (Quelle), was etwa 82 % des Verbrauchs von 2007 entspricht. Allerdings wird der Strombedarf durch die Elektrifizierung von Verkehr und Wärme in den kommenden Jahren wieder steigen.

Schon heute zeigt sich die Bedeutung der Effizienz: Der Nettostromverbrauch lag 2023 bei 467 TWh (Quelle) – etwa 11 % des erzeugten Stroms gehen durch Netzverluste verloren. Diese Differenz unterstreicht die Notwendigkeit, unser Stromnetz zu optimieren und den Verbrauch gezielt zu steuern.
Erzeugung: Erneuerbare Energien auf dem Vormarsch

Im zeitlichen Verlauf sieht man:
- Atomkraft wird immer unwichtiger, weil das Kabinett Merkel II (CDU/CSU) 2011 den Atomausstieg beschlossen hat.
- Die Erneuerbaren Energien steigen stark an, die fossilen Energieträger sinken.
- Wasserkraft und Biomasse (Hackschnitzel, Biogas) sind relativ konstant auf niedrigem Niveau. Geothermie spielt keine Rolle.
Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) hat eine Live-Visualisierung der Stromerzeugung in Deutschland

Abhängigkeiten minimieren
Die Abhängigkeit von Energieimporten bleibt eine Herausforderung. Besonders bei Kohle und Erdgas sind wir weiterhin auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen. Der Umstieg auf erneuerbare Energien reduziert diese Abhängigkeit drastisch. Jede neue Solaranlage und jedes neue Windrad bedeutet ein Stück mehr Unabhängigkeit – ökonomisch wie geopolitisch.
- Kernkraft: Wir mussten Uran importieren. Großteils aus Russland
- Kohle: 2023 hat Deutschland 102 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaut. Wir haben 27 Millionen Tonnen Steinkohle importiert. Die größten Massengutfrachter können rund 400.000 Tonnen Ladung befördern (Quelle), also ca. 70 große Frachter. Wir sind seit 2018 mit der Schließung vom Bergwerk Prosper-Haniel von Importen abhängig. Der Grund ist, dass die deutsche Steinkohle nicht mehr wirtschaftlich abgebaut werden kann. Es ist einfach günstiger die Kohle in Australien abzubauen und nach Deutschland zu transportieren. Verrückt.
- Erdgas: Deutschland hat 2023 2 Millionen Terajoule Erdgas importiert. Seit 2023 kommt ein Großteil aus Norwegen, Niederlande, und Belgien (Quelle)
Mehr Infografiken finden Sie bei Statista
Strompreise: Stabilisierung nach der Krise
Die Strompreise für Haushalte und Industrie haben sich nach dem Höhepunkt der globalen Energiekrise 2022/2023 wieder normalisiert. Deutschland hat bewiesen, dass es resilient ist. Mit gezielten Investitionen in die Energiewende können langfristig die Kosten weiter gesenkt werden – durch den Wegfall fossiler Brennstoffimporte und effizientere Technologien.
Das kann man in den Daten sehen, allerdings muss man einiges an Kontext beachten. Es gibt leider nicht "den" Verbraucherstrompreis. Wie viel man pro Kilowattstunde bezahlt ist abhängig vom Wohnort, dem Anbieter, und dem Jahresverbrauch, da die Grundgebühr eingerechnet werden muss.
Die Grundversorger sind meist deutlich teurer als die günstigsten Anbieter. Dennoch wechseln viele Menschen nicht den Anbieter. Ich kann nicht nachvollziehen warum.
Laut Verivox haben Neukunden folgenden preis pro Kilowattstunde im durchschnitt zu den foglenden Stichtagen bezahlt:
- 31.12.2021: 47.5 ct/kWh
- 01.02.2022: 41.4 ct/kWh
- 03.03.2022: 38.2 ct/kWh
- 16.03.2022 - 27.06.2022: von 49.0 ct/kWh auf 36.1 ct/kWh
- 29.06.2022 - 29.09.2022: von 36.1 ct/kWh auf 70.1 ct/kWh
- 30.09.2022 - 19.05.2023: von 70.1 ct/kWh auf 23.1 ct/kWh
- 20.05.2023 - heute: 23.1 ct/kWh - 30.0 ct/kWh
Also im großen und ganzen kann man sagen, dass der Ukraine-Krieg die Strompreise in die Höhe getrieben hat, aber dass die Strompreise inzwischen wieder auf dem Niveau von 2021 sind. Die Krise wurde also überwunden.
Die aktuelle Zusammensetzung des Strompreises sieht wie folgt aus:
- 42.5% Beschaffung, Vertrieb, Marge
- 28% Netznutzungsentgelt: +11,62 ct/kWh
- 16% Umsatzsteuer: +19%
- 5.5% Stromsteuer: +2,05 ct/kWh
- 4.5% Konzessionsabgabe: +1,32 ct/kWh
Mythen
Deutschland hat zu wenig Strom und muss ihn importieren
Wir importieren Strom, wenn es günster ist als ihn selbst zu erzeugen. So funktioniert Marktwirtschaft. Wenn man sich über Abhängigkeiten sorgen macht, dann sollte man möglichst schnell auf erneuerbare Energien umsteigen. Bei fossilen Energieträgern sowie Kernkraft werden wir immer auf Importe angewiesen sein.
Wir haben 2022 Strom nach Frankreich exportiert.
2024 haben wir im ersten Halbjar gleichzeitig aus Frankreich / Norwegen / Dänemark Strom importiert und nach Polen / Luxemburg / Tschechien exportiert (siehe Stromaustauschsaldo).
Das Stromnetz ist nicht stabil
"2023 mussten Haushalte in Deutschland im Durchschnitt knapp 13 Minuten Minuten ohne Strom auskommen. Das ist etwa so viel wie im Schnitt der vergangenen zehn Jahre. Auch im Vergleich mit den Nachbarländern gehört das deutsche Stromnetz damit der Bundesnetzagentur zufolge zu den zuverlässigsten. "
Siehe auch:
- bundesregierung.de: Stromausfall – eine Risikoanalyse, 03.01.2025
- Wikipedia: System Average Interruption Duration Index
- Wikipedia: Liste historischer Stromausfälle
- Statista: Länge der Versorgungsunterbrechung je Stromverbraucher in Deutschland in den Jahren 2006 bis 2023
Mit Atomkraft wäre Strom günstiger
Atomkraftwerke haben enorme Baukosten sowie sehr hohe Kosten für die Entsorgung des radioaktiven Mülls. Wenn man diese Kosten ignoriert sieht der Atom-Strom günstig aus. Wenn man Infrastruktur für die Herstellung von Atomwaffen benötigt kann man so natürlich auch die Kosten für die zivile Nutzung senken.
Die großen AKWs in Deutschland haben in ihrer Lebensdauer von etwa 35 Jahren etwa 350 TWh Strom erzeugt. Schaut man sich in Europa mal neue AKWs an, kann man mal ausrechnen wie hoch der Strompreis nur wegen der Baukosten sein müsste (ohne Betrieb, ohne Wartung, ohne Entsorgungskosten, ohne Personal, ohne Brennstoffkosten, ohne Rückbaukosten, ohne Steuern, ohne Netzabgaben, ohne Gewinnmarge):
- Hinkley Point C (Großbritannien): 51.3 Mrd (geplant waren 21.5 Mrd EUR), Bauzeit von 16 Jahren und noch ist es nicht fertig ➜ 14.7 ct/kWh
- Flamanville 3 (Frankreich): 12 Mrd EUR (geplant waren 3.3 Mrd EUR), Bauzeit von 20 Jahren (Quelle) ➜ 3.4 ct/kWh
- Olkiluoto 3 (Finnland): 11 Mrd EUR (geplant waren 3 Mrd EUR), Bauzeit von 18 Jahren ➜ 3.1 ct/kWh
Um innerhalb von Deutschland einen guten Vergleich der Stromquellen zu bekommen, muss man sich die Stromgestehungskosten ansehen:

Man sieht hier deutlich, dass selbst bei einer optimistischen Annahme bei Kernkraft die Stromgestehungskosten bei 14ct/kWh liegen, die Erneuerbaren aber bei pessimistischer Annahme unter 10 ct/kWh liegen.
Wasserkraft ist laut BMWK bei Anlagen von 1 MW oder weniger bei 12.17 ct/kWh oder mehr. Bei größeren Anlagen ist es günstiger:
- 2MW: 10.51 ct/kWh
- 5MW: 8.42 ct/kWh
- 10MW: 7.17 ct/kWh
- 20MW: 6.28 ct/kWh
- 50MW: 5.33 ct/kWh
Frankreich hatte lange Zeit sehr günstigen Strom für die Endverbraucher, weil sie den Strom subventioniert haben. Atomstrom in Frankreich wird nun teurer. 2022 wurde der verschuldete Stromkonzern EDF verstaatlicht - sonst hätten die Franzosen die Strompreise noch weiter erhöhen müssen.
Siehe auch:
- BMUV: Bericht über Kosten und Finanzierung der Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, 2015.
- Matthias Janson: Folgekosten von Atomstrom am höchsten auf statista.com, 2022.
- BUND: Die wahren Kosten von Atomkraft
- IG Metall: Das Märchen vom billigen Atomstrom, 2011.
- Florian Blümm: Vollkosten pro kWh: Welche ist die günstigste Energiequelle 2024?, 09.10.2023.
- Wissenschaftliche Dienste des Bundestags: Zu Ausbaupotentialen der Wasserkraft in Deutschland, 13.05.2022.
Deutscher Strom ist der teuerste Europas
Das stimmt so nicht (Liste der Länder nach Strompreis):
- 2023 war Deutschland mit 41ct/kWh auf Platz 5, hinter Italien (56ct/kWh), Großbritannien (46ct/kWh), Irland (43ct/kWh), und Belgien (42ct/kWh).
- 2024 war Deutschland für Industriekunden auf Platz 5 mit 19.76ct/kWh nach Irland (25.43ct/kWh), Kroatien (21.69ct/kWh), Ungarn (20.55ct/kWh), und Luxemburg (20.41ct/kWh). (Quelle)
Wo es stimmt:
- 2024 bei Haushalten mittlerer größe waren wir bei 39.51ct/kWh, gefolgt von Irland (37.36ct/kWh), Dänemark (37.08ct/kWh), Tschechien (33.81ct/kWh), Belgien (33.54ct/kWh) (Quelle)
Wie gehts weiter?
Deutschland hat sich im Juli 2021 (Kabinett Merkel IV, also CDU/CSU und SPD) im Fit for 55-Paket verpflichtet bis 2050 klimaneutral zu sein. Wenn wir weltweit als verlässlicher Partner wahrgenommen werden wollen, dann müssen wir das auch schaffen. Es ist außerdem eine riesige Chance für die deutsche Wirtschaft: Wir könnten einen großen Teil der Wertschöpfungskette nach Deutschland holen. Aktuell geben wir jährlich Milliarden für Öl (Heizöl, Benzin, Diesel), Gas, und Kohle aus dem Ausland aus. Bis vor kurzem haben wir auch noch Uran importiert. In Zukunft könnten wir die Windräder, Solarzellen, Batterien, und Elektroautos in Deutschland herstellen. Zumindest aber sind diese Anlagen einmalige Investitionen, die dann über Jahrzehnte Strom produzieren. In Deutschland. Unabhängig von Regimen wie dem Russischen oder dem Saudi-Arabischen.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir:
- Elektrifizierung vorantreiben: Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge sind effizienter und umweltfreundlicher als fossile Alternativen. Ein schneller Ausbau dieser Technologien ist essenziell.
- Erneuerbare Energien massiv ausbauen: Vor allem Windkraft benötigt weiteren Schub, insbesondere durch schnellere Genehmigungsverfahren.
- Speicherlösungen etablieren:: Es werden gerade sehr viele Genehmigungsanträge für Großspeicher gestellt.
- Stromnetze modernisieren: Wir brauchen mehr Leitungen, um den Strom von Norddeutschland nach Süddeutschland zu transportieren (Quelle). Es geht voran. Eines der Kernprojekte ist Suedlink.
- Flexibilität fördern: Wir brauchen regelbare Verbraucher, die z.B. dann laufen, wenn viel Wind weht. Das können Wärmepumpen, Elektroautos, oder auch Industrieanlagen sein. So kann man z.B. einen Warmwassertank aufheizen, wenn gerade viel Energie im Netz ist. Das E-Auto muss in der Früh einen gewissen Ladestand haben, aber wann genau es geladen wird, ist egal. §14a EnWG, Modul 3 geht auch in diese Richtung (Video).
- Power-to-X: Wir können nicht nur Strom speichern, sondern auch Wasserstoff für die Stahlproduktion oder E-Fuels für Flugzeuge und Methanol für Schiffe herstellen.